05.02.2024

Auf dem Weg zum vierten Sektor: Der Gesundheits-, Sozial- und Public-Bereich

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Brandl und Prof. Dr. Thomas Prinz

Der primäre Sektor umfasst die Land- und Forstwirtschaft und ging in den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Der sekundäre Sektor – als Produktionsbereich bezeichnet – verzeichnet ebenfalls einen Rückgang. Nur der Dienstleistungsbereich wächst kontinuierlich. Er wird als dritter Sektor bezeichnet – mit mittlerweile über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung. Es ist deshalb an der Zeit, sich diesen Wirtschaftssektor schon aufgrund der Größe genauer anzuschauen.

Am Anfang unserer Diskussion teilten wir den dritten Sektor in zwei Teile, in dem wir die Dienstleistungen aufteilten: Zum einen die produktnahen Dienstleistungen im Sinne des Verkaufs, des Handels, der Gastronomie und der persönlichen Dienstleistungen wie Friseur oder Kosmetik. Zum anderen die Dienstleistungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sowie im Öffentlichen Bereich. Diese umfassen im Gesundheitswesen beispielsweise Kuren und Rehamaßnahmen sowie die Versorgung im Krankenhaus, in der Sozialwirtschaft beispielsweise die Beratung und Hilfe für Menschen ohne Arbeit, für Personen mit Unterstützungsbedarf und/oder Selbstversorgungsdefiziten. Dazu kommen noch die öffentlichen Dienstleistungen, beispielsweise durch den Service in Ämtern oder Fachberatungsstellen. Zugegeben sind die Trennlinien hier fließend und gegebenenfalls auch noch zu schärfen.

Beginnen wir bei der Definition von Dienstleistung als einem immateriellen Wirtschaftsgut, das ein Dienstleister bzw. ein Dienstleistungsunternehmen auf einem Markt anbietet und das von Kunden in Anspruch genommen werden kann – auf Englisch „Service“. Davon ausgehend werden somit unter dem tertiären Sektor jene Wirtschaftszweige zusammengefasst, die Dienstleistungen „produzieren“ oder besser erstellen.

In der institutionellen Abgrenzung der Systematik der Wirtschaftszweige zählen dazu: Handel; Verkehr und Nachrichtenübermittlung; Kreditinstitute und Versicherungen; Wohnungsvermietung; sonstige Unternehmen oder freie Berufe, die Dienstleistungen erbringen; Organisationen ohne Erwerbscharakter und private Haushalte; Gebietskörperschaften und Sozialversicherung.

Alternativ kann der Dienstleistungssektor auch an Merkmalen der Berufsfunktion der Erwerbstätigen abgegrenzt werden (funktionale Abgrenzung). Typische Dienstleistungsberufe: Kaufleute, Techniker, Ingenieure, Verwaltungskräfte, Verkehrsberufe, Gesundheitsdienst- und Erziehungsberufe.

Statistisch stellt sich der Dienstleistungssektor bei funktionaler Abgrenzung als weitaus umfangreicher dar als bei institutioneller Abgrenzung, da Beschäftigte in Industrieunternehmen (sekundärer Sektor), die Dienstleistungsfunktionen ausüben, statistisch gleichwohl als Industriebeschäftigte erfasst werden. Jedenfalls ist der Dienstleistungssektor ausgesprochen heterogen. Das betrifft sowohl die Branchen als auch die Unternehmensstrukturen.

Das Statistische Bundesamt unterscheidet folgende Hauptbranchen im Dienstleistungssektor (vgl. Wolf, 2020):

• Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen;
• Verkehr und Lagerwirtschaft
• Gastgewerbe
• Information und Kommunikation
• Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
• Grundstücks- und Wohnungswesen
• Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen
• Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen
• Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung
• Erziehung und Unterricht
• Gesundheits- und Sozialwesen
• Kunst, Unterhaltung und Erholung
• Erbringung von sonstigen Dienstleistungen

Jede dieser Hauptbranchen umfasst wiederum diverse Unterbranchen. Im Umkehrschluss lösen wir den Gesundheits- und Sozialbereich zusammen mit der Öffentlichen Verwaltung inklusive Landesverteidigung (Bundeswehr), Sozialversicherung und Wissenschaft heraus, womit man mit Kriegel (2022) auf etwa 50 Prozent des Dienstleistungsbereichs kommt. Dies rechtfertigt von der Größe her nach unserem Ermessen die Aufspaltung in zwei Sektoren: den Dienstleistungsbereich sowie den Gesundheits-, Sozial und Public-Bereich.

Unsere Überlegungen kommen nicht von ungefähr, sondern werden in der Wissenschaft schon länger diskutiert. So versteht beispielsweise Siegler (2018) die Sozialwirtschaft als eigenen Sektor, der “zwischen Wirtschaft und Sozialbereich” angesiedelt ist, und in dem Dienstleistungen für Zielgruppen der Sozialpolitik erbracht werden, „mit der Absicht, individuelle und soziale Wohlfahrt zu erzeugen“. (Evers/Ebert 2010, Wendt 2015) wiederum sehen die Sozialwirtschaft als “hybrides und intermediäres Funktionssystem”, in dem soziale Fragen und Probleme mit gemeinwohlorientierten Zielen nach ökonomischen, sozialen, politischen und zivilgesellschaftlichen Prinzipien bearbeitet werden

Die respektable Größe des Gesundheits-, Sozial und Public-Bereichs sollte ungeachtet der Diskussion eine noch größere Professionalisierung rechtfertigen und zu einem größeren Selbstbewusstsein der Organisationen sowie deren Mitarbeiter:innen führen. Unterstützend sollte die Digitalisierung in diesem Sektor nicht nur verstärkt angegangen werden, sondern auch zu neuen Formen der Zusammenarbeit führen (Stichwort: Agile Organisationen). Sichtbar werden sollte dies mit einer noch höheren Wirkung der sozialen Dienstleistungen und einer noch angemesseneren Wahrnehmung der gesellschaftlichen Relevanz.

Die Diskussion ist eröffnet. Wir freuen uns auf Diskussionsbeiträge!

Quellen: Wolf 2020, Kriegel 2022

Prof. Mag. Dr. Paul Brandl lehrt an mehreren Hochschulen und betreut anwendungsorientierte Abschlussarbeiten. Er ist an Forschungsprojekten im Bereich der Beschaffung und des Prozessmanagements beteiligt und in der Beratung von sozialen Dienstleistern tätig. Forschungsinteressen: Prozessmanagement, dynamisches Qualitätsmanagement, moderne Dienstleistungsentwicklung sowie Verblisterung von Medikamenten.

Prof. Mag. Dr. Thomas Prinz lehrt an der Fachhochschule Linz Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirkungscontrolling und Finanzierung sowie Risikomanagement, Performance Measurement und Social Business Planning. Forschungsschwerpunkte: Wirkungsmessung sozialer Dienstleistungen, wirkungsorientierte Prozesskostenrechnung, sozialökonomische Wirkungsevaluation und NPO-Controlling.