02.08.2025

Können es nur noch die Gerichte richten? – Fortsetzung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 1. August 2025 in den Rechtssachen C-758/24 und C-759/24 über die Kriterien zur Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“ entschieden. Er stellte dabei zwei zentrale Anforderungen auf:

  • Erstens müssen die EU-Mitgliedstaaten die Informationsquellen, auf denen ihre Bewertungen beruhen, offenlegen, damit eine effektive gerichtliche Überprüfung möglich ist.
  • Zweitens muss ein Land in seiner Gesamtheit für alle Personengruppen Schutz bieten; die bloße Sicherheit für bestimmte Gruppen (etwa Mehrheitsbevölkerung) reicht nicht aus, um als „sicher“ zu gelten.

Albanien-Modell

Hintergrund war Italiens sogenanntes „Albanien-Modell“, in dessen Rahmen Asylanträge ausgewiesener Männer aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten im Ausland, nämlich in Lagern in Albanien, in Schnellverfahren geprüft werden sollten. Der EuGH beanstandete, dass der italienische Gesetzgebungsakt von Oktober 2024 keine Transparenz über die zugrundeliegenden Erkenntnisquellen bot und damit weder Betroffene noch Gerichte eine rechtliche Nachprüfung ermöglichten. Zudem betonte das Gericht, dass Staaten, die bestimmte Gruppen – etwa LGBTQ-Personen – nicht schützen, bis zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Juni 2026 grundsätzlich nicht als „sicher“ eingestuft werden dürfen.

Reaktionen

  • Italien: Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kritisierte das Urteil scharf und bezeichnete es als „beunruhigend“ und „überraschend“. Sie warf dem EuGH vor, seine Zuständigkeiten zu überschreiten und die Entscheidung über die Migrationspolitik nationalen Richtern zu überlassen. Meloni betonte, dass die Verantwortung für die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten bei der Politik liege.
  • DIE ZEIT zieht das Fazit, dass der EuGH damit die Hürden für beschleunigte Asylverfahren spürbar erhöht hat. Die Entscheidung treffe vor allem das Prestigeprojekt von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und stelle eine deutliche Einschränkung nationaler Souveränität dar. Bis zum Inkrafttreten der neuen EU-Asylregelung dürften Mitgliedstaaten nur Staaten nennen, deren gesamtes Staatsvolk umfassend geschützt ist.
  • Die Tagesschau hebt hervor, dass Abschiebungen aus der EU künftig noch schwerer werden. Die Transparenz- und Vollständigkeitsanforderungen des EuGH bedeuten, dass Beschleunigungsverfahren in Drittstaaten wie im „Albanien-Modell“ nur noch unter engen Voraussetzungen stattfinden können.
  • PRO ASYL kritisiert das Urteil als Alarmsignal gegen „return hubs“ außerhalb Europas. Die Menschenrechts-Organisation warnt, dass durch Intransparenz und pauschale Inhaftierungen in Rückführungszentren menschenrechtliche Standards unterlaufen werden und fordert stattdessen faire, rechtsstaatliche Verfahren innerhalb der EU.

Pläne des Innenministers

In Deutschland wird das Urteil ebenfalls aufmerksam verfolgt, da auch hier per Rechtsverordnung sichere Herkunftsstaaten bestimmt werden sollen. Das EuGH-Votum dürfte die Bundesregierung zu weiteren Anpassungen ihres Gesetzentwurfs zwingen.

Quellen: curia.europa.eu, Merkur, ZEIT, Tagesschau, pro asyl, Bundesinnenministerium

Abbildung: pixabay.com city-736807_1280.jpg