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29.06.2024

Verfolgte zweiter Klasse

Die Entschädigungspolitik der Nachkriegszeit in Deutschland grenzte die Opfer und die Angehörigen der Opfer der „Euthanasie“-Morde und Zwangssterilisierte von Anfang an aus. Das Bundesentschädigungsgesetz von 1953 erkannte ihr Leid nicht als Folge »typischen NS-Unrechts« an.

Keine Leistungen nach BEG

Wie die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in einem Beitrag zu den „Euthanasie“-Morden schreibt, schaffte es erst der 1987 gegründete Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten, dass der Bundestag 1988 das Zwangssterilisations-Gesetz zum „NS-Unrecht“ erklärte; 1998 hob er die Urteile der „Erbgesundheitsgerichte“ formal auf. Erst 2007 ächtete das Parlament das Gesetz. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz haben »Euthanasie«-Opfer und Zwangssterilisierten bis heute nicht, auch wenn sie Leistungen nach einer Härtefallregelung erhalten können.

Antrag abgelehnt

Vor gut 2 Jahren versuchte die Linksfraktion in einem Entschließungsantrag die Anerkennung der Betroffenen als „Verfolgte des NS-Regimes“ durchzusetzen. Der Antrag wurde in den Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen und dort im November 2023 ohne Aussprache abgelehnt.

Neuer Entschließungsantrag

Nun gibt es einen erneuten Anlauf. Die Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sprechen sich in einem gemeinsamen Antrag dafür aus, dass die Aufarbeitung der „Euthanasie“ und der Zwangssterilisationen während der nationalsozialistischen Diktatur intensiviert werden soll. Unter anderem solle der Deutsche Bundestag ausdrücklich feststellen, „dass die Opfer der NS-„Euthanasie” und die Opfer von Zwangssterilisation als Verfolgte des NS-Regimes anzuerkennen sind“, heißt es in dem Antrag.

Projekt und Fachtagungen

In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, ein Projekt zu initiieren, um bundesweit Patientenakten und Personalunterlagen der Täter zu lokalisieren, zu sichern und zu konservieren, um sie für Forschung, Bildung und Anfragen nutzbar zu machen. Das Projekt soll unter der Beteiligung der Gedenkstätten an den Orten ehemaliger „Euthanasie“-Tötungsanstalten, des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité, den Verbänden von Menschen mit Behinderungen sowie geeigneten Vertretern der Disability Studies durchgeführt werden. Zudem soll eine nationale Fachtagung durchgeführt werden. 

Unterstützung der Gedenkstätten

Darüber hinaus fordern die vier Fraktionen die Bundesregierung auf, die Gedenkstätten an den Orten der ehemaligen „T4“-Tötungsanstalten auch in Zukunft nachhaltig zu unterstützen, um die bauliche Substanz vor Ort zu erhalten und um die zunehmenden Herausforderungen bei der Aufarbeitung von Archivmaterialien und den zu leistenden Beratungsaufgaben bewältigen zu können. 

in den Ausschuss…

Die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde an schätzungsweise 300.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen sowie die aufgrund des 1934 in Kraft getretenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ an etwa 400.000 Menschen durchgeführten Zwangssterilisationen seien Ausdruck der menschenverachtenden rassistischen nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, heißt es im Antrag.

Nach 25-minütiger Beratung am 27.6.2024 im Bundestag wurde der Entschließungsantrag in den Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen.

Quellen: Bundestag, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten, FOKUS-Sozialrecht, wikipedia

Abbildung: privat Hadamar.jpg (Kindergrab in der Gedenkstätte Hadamar)